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Gallus Staubli


Leitet seit über zwanzig Jahren die Bildung und Vermittlung im Museum für Kommunikation in Bern: Gallus Staubli



Lieber Gallus, mit den Kommunikator*innen hat das Museum für Kommunikation vor fünf Jahren eine neuen Beruf erfunden. In den Ausstellungen und an der Réception arbeiten seither ausschliesslich festangestellte Kommunikator*innen. Was hat zu dieser Entscheidung geführt?

Ich habe hier im Museum für Kommunikation vor zwanzig Jahren als erster Vermittler angefangen und hatte damals weder eine Ausbildung noch irgendwelche Erfahrung in diesem Bereich. Deshalb habe ich zuerst mal geschaut, wie es alle anderen machen und habe das dann nachgeahmt. Und so ist eine Struktur entstanden, die wohl in vielen Museen bis heute üblich ist, nämlich, dass es – wenn überhaupt – eine*n festangestellte*n Vermittler*in gibt und eine Crew von nicht festangestellten Guides. Und so war das auch bei uns. Als diejenige Person, die mit diesen Vermittler*innen zusammengearbeitet hat, realisierte ich, dass es sich dabei um prekäre, nicht anstrebenswerte Anstellungsbedingungen handelt, obschon man doch ziemlich viel von ihnen verlangt: Sie


Ich realisierte, dass es sich um prekäre, nicht anstrebenswerte Anstellungsbedingungen handelt, obschon man doch ziemlich viel von den Vermittler*innen verlangt: Sie müssen das ganze inhaltliche Know-how haben, sie sind das Gesicht des Museums und führen die Mehrheit der Vermittlungsangebote durch.

müssen das ganze inhaltliche Know-how haben, sie sind das Gesicht des Museums und führen die Mehrheit der Vermittlungsangebote durch. Das war die eine Seite. Und die andere Seite war, dass wir in den Ausstellungen nicht geschultes Aufsichtspersonal hatten, das einen Job ausführte, der für alle rundherum unbefriedigend war. Wenn man als Besuchende in Kontakt mit einer Aufsichtsperson kommt, handelt es sich sehr häufig um einen negativen Moment. Die Aufsichtspersonen hatten keinen interessanten Job, es gab viele Wechsel und keine Konstanz. Und es war eine wichtige Erkenntnis zu realisieren, dass das nicht so bleiben und man sich mit diesem Modell nicht einfach arrangieren muss, nur weil es in vielen Museen so läuft.


Und wie hat sich daraus das Konzept der Kommunikator*innen entwickelt? Welche Rahmenbedingungen waren entscheidend?

Als wir 2012 mit der Neukonzeption des Museums angefangen haben, gingen wir davon aus, dass das Museum nie ganz schliessen und immer nur teilweise erneuert werden würde. Aber wir haben dann in der inhaltlichen Konzeption gemerkt, dass das keinen Sinn macht und beschlossen, das Museum ein Jahr lang zu schliessen, die Gesamtstruktur der Räume zu erneuern und eine neue Kernausstellung zu konzipieren. Und dieser Umstand, dass das Museum ein Jahr lang seine Türen schloss, hat das Kommunikator*innen-Projekt erst ins Rollen gebracht. Wir wussten, dass für all jene, die unter den beschriebenen prekären

Haben vor fünf Jahren einen neuen Beruf angetreten: Die Kommunikator*innen des Museums für Kommunikation. (Foto: digitalemassarbeit.ch, © Museum für Kommunikation)


Anstellungsbedingungen arbeiteten, dieses Jahr ohnehin das Ende ihrer Tätigkeit bedeuten würde. Aber die betroffenen Personen wussten das bereits drei Jahre im Voraus und konnten sich darauf vorbereiten, deshalb war es in dieser Hinsicht auch sozial verträglich. Für mich war es ganz wichtig, neu beginnen zu können. Wir wollten Festanstellungen für alle Vermittler*innen, wir wollten diese gut ausbilden und wir wollten danach von Dienstag bis Sonntag, von morgens bis abends immer Vermittler*innen vor Ort im Museum haben – und zwar nur Vermittler*innen. Es sollte keine andere Berufsgattung mehr geben.

Hattet ihr zuvor bereits Erfahrungen mit Kommunikator*innen sammeln können?

Ja, im Rahmen von Wechselausstellungsprojekten haben wir mehrfach Vermittler*innen für die jeweilige Projektdauer permanent angestellt und das waren allesamt sehr gute Erfahrungen, aber es hat halt immer einen grossen Teil des Wechselausstellungsbudgets verschlungen. Deshalb waren wir bis dahin auch nie auf die Idee gekommen, so etwas permanent für das ganze Museum zu implementieren, denn wir dachten, dass wir uns das gar nie leisten könnten. Als ich in der Planungsphase dann mal berechnet habe, was es kosten würde, 22 Kommunikator*innen mit 30-60%- Pensen festanzustellen im Vergleich zu den 29 nicht festangestellten Guides zuvor, wurde klar, dass es eine Verdoppelung der Kosten bedeutete. Damals war für ich davon überzeugt, dass das chancenlos sein würde.


Entscheidend war, dass das ganze Projektteam hinter dieser Idee stand und der Meinung war, dass wir als Museum für Kommunikation mit direkter, authentischer, lebendiger, von Menschen gemachter Kommunikation trumpfen möchten.

Wer sollte das schliesslich bezahlen? Aber weil das ganze Projektteam hinter dieser Idee stand und der Meinung war, dass wir als Museum für Kommunikation mit direkter, authentischer, lebendiger, von Menschen gemachter Kommunikation trumpfen möchten, konnten wir schliesslich die Geschäftsleitung und den Stiftungsrat für die Idee gewinnen. Wir waren überzeugt, dass es sich lohnen würde und die zusätzlichen Kosten mit den erhofften Mehreinnahmen durch mehr Besuchende gedeckt werden könnten – was dann auch eintraf, zumindest in den zwei Jahren vor Corona.


"Wir möchten über ein Erlebnis – ein Spiel, eine Interaktion, eine sinnliche Erfahrung – ein Angebot machen und eine Begegnung auslösen."

Inwiefern hat der Einsatz von der Kommunikator*innen eine andere Publikumsansprache ermöglicht?

Es war uns im Projektteam ein grosses Anliegen, die Besuchenden noch stärker ins Zentrum zu rücken und sie ernst zu nehmen. Die Ausstellung ist vollgepackt mit Texten, Audios und Videos. Das gibt uns die Chance, eine nicht auf Wissen abzielende Vermittlung zu machen, sondern eine, die im Grundsatz auf den Dialog zielt. Wir möchten über ein Erlebnis – ein Spiel, eine Interaktion, eine sinnliche Erfahrung – den Besuchenden ein Angebot machen und eine Begegnung auslösen. Und im Gespräch mit ihnen vermitteln wir dann eben nicht einfach nur unser Wissen – das machen wir natürlich auch, indem wir Geschichten erzählen und sie zu Objekten führen. Aber der Weg dazu, oder was die Person zu diesem Objekt oder Thema zu sagen hat, interessiert uns eben auch. Und das ist eine andere Form des Dialogs.


Die Ausstellung ist vollgepackt mit Texten, Audios und Videos. Das gibt uns die Chance, eine nicht auf Wissen abzielende Vermittlung zu machen, sondern eine, die im Grundsatz auf den Dialog zielt.

Ein Beispiel: Die Besuchenden erhalten bei uns an der Réception als Eintrittsbillets Jetons in vier verschiedenen Farben. An der Réception haben die Kommunikator*innen letzthin an einem Tag Büchsen mit diesen vier verschiedenen Jetonfarben aufgestellt und die Besuchenden aufgefordert, sich aus diesen vier Jetonbüchsen einen Jeton zu nehmen, der zu ihnen passt. Orange bedeutete "Ich bin neugierig", grün bedeutete "mutig", schwarz stand für "schüchtern" und so weiter. Und die Kommunikator*innen in der Ausstellung sahen dann diese Jetons bei den Besuchenden und nahmen sogleich darauf Bezug. Wenn jemand zum Beispiel einen orangefarbigen Jeton hatte, wurde er gefragt, ob er Lust hätte, hinter eine Türe zu schauen, die normalerweise für die anderen Besuchenden geschlossen ist. Und dann gehen die Kommunikator*innen mit den Besuchenden ins dritte Untergeschoss ins Depot oder auf die Dachterrasse oder wohin auch immer... und auf diesem Weg sprechen sie über den Museumsbesuch, über die Erwartungen. Und solche Begegnungen sind in einem Museum, das voll von Aufsichtspersonal ist, nicht möglich.


Die Kommunikatorin Madeleine Burri gibt Einblick in das Dialog-Labor – einer von ihr erarbeiteten Vermittlungsaktivität, die ermöglicht, verschiedene Methoden kennenzulernen, wie man miteinander in einen Dialog kommen kann.


Nicht alle Besuchenden wollen sofort in einen Austausch treten. Einige Besuchende suchen aktiv Nähe und Informationen, andere eher Distanz und Privatsphäre. Wie geht ihr mit den unterschiedlichen Bedürfnissen des Publikums um?

Ein Schwerpunkt in der Kommunikator*innen-Ausbildung ist zu lernen, schnell zu erfassen, wie weit man mit Besuchenden gehen kann und verschiedene Möglichkeiten der Ansprache zu kennen. Und es ist ja auch nicht so, dass wir jeden Besuchenden gleich in einen Dialog verwickeln möchten, sondern wir machen nur Angebote und die Besuchenden können die Angebote annehmen oder eben nicht. Auf der anderen Seite sind die Bedürfnisse jener Besuchenden, die in einen Dialog treten möchten, unglaublich breit gefächert und auf diese Bedürfnisse können die Kommunikator*innen souverän eingehen und reagieren. Und das haben wir jetzt auch gemerkt, als es darum ging, Angebote für ukrainische Flüchtlinge zu entwickeln. Auf ihre Bedürfnisse können wir genauso reagieren – ohne klassische, gedolmetschte Führungen anbieten zu müssen. So war letzthin beispielsweise eine Gruppe gehörloser Ukrainer*innen bei uns im Museum und eine unserer Kommunikator*innen hat dann mit dieser Gruppe ein Dialoglabor gemacht. Das ist eine unserer Aktivitäten, bei


Häufig gibt es auf zwei Ebenen Widerstand: Einerseits besteht die Haltung, dass es unmöglich sei, Anstellungsbedingungen zu ändern. Und andrerseits ist man nicht bereit, von einer erkenntnisorientierten Vermittlung abzuweichen.

der es darum geht, verschiedene – eben auch nonverbale – Methoden kennenzulernen, wie man miteinander in einen Dialog kommen kann. Das Angebot stiess auf grosse Zufriedenheit und es brauchte dafür weder eine Ausschreibung noch eine Buchung oder Dolmetscherin. Und das gilt für alle Bedürfnisse der Besuchenden: die Kommunikator*innen können darauf eingehen.


Dieser besondere Ansatz der Wissensvermittlung fasst ihr mit der sogenannten Berner Formel zusammen. Was steckt dahinter?

Die Berner Formel lautet E³ = P x M. Es ist eben nicht E + E + E, sondern es ist E³, also eine Potenzierung. Und diese Potenzierung beginnt mit einem Erlebnis, dem ersten E. Das zweite E ist unsere Spezialität, nämlich der Erfahrungsaustausch beziehungsweise Dialog, der einfach nur möglich ist mit Kommunikator*innen oder mit Personal, das in der Ausstellung präsent ist und viel inhaltliches und methodisches Wissen mitbringt. Und das dritte E bezieht sich auf die Erkenntnis. Diese findet vielleicht hier im Museum statt, möglicherweise im sozialen Austausch und nicht auf der Faktenebene. Und vielleicht passiert die Erkenntnis auch erst Tage, Wochen, Monate später zu Hause: Plötzlich wird einem die Eisbergtheorie, von der man an der Ausstellungswand gelesen hat, klar. Auf der rechten Seite der Gleichung heisst es P für Publikum mal M für Museum. Bei der Erarbeitung dachten wir zuerst, dass es


Unsere Berner Formel lautet: E³ = P x M. Ein Erlebnis gefolgt von Erfahrungsaustausch führt zu Erkenntnis – dank dem Dialog des Publikums mit dem Museum.

Museum + Publikum heissen würde. Aber uns war es wichtig, dass zuerst das Publikum kommt, gemäss unserem Motto: "Es dreht sich alles um dich und du bist nicht allein." Das ist für uns zu einer Grundhaltung geworden, nicht einfach zu einem plakativen Slogan. Und das Mal statt Plus bedeutet eben, dass mehr passiert als nur eine Addition, es kann wirklich viel mehr entstehen.


Hast du ein Beispiel dafür?

Wir haben bei uns im Museum ein Mobiltelefon ausgestellt, das ursprünglich Mussie Zerai, einem eritreischen Priester, gehörte, der in Rom als Übersetzer für eritreische Flüchtlinge tätig ist. In dieser Funktion hat er von vielen Fluchtgeschichten erfahren – auch von vielen gescheiterten Fluchtversuchen und von Personen, die fast oder tatsächlich ertrunken sind. Und er beschloss, eine Anlaufstelle zu gründen, an die sich die Flüchtlinge wenden können, wenn sie in Seenot geraten. Da sie illegal sind, können sie nicht die Küstenwache anrufen. Wenn die Flüchtlinge jedoch ihn anrufen und er sie dann über GPS ortet und die Küstenwache alarmiert, muss die Küstenwache nach Genfer Konvention auslaufen. Und er


"'Es dreht sich alles um dich und du bist nicht allein.' Das ist für uns zu einer Grundhaltung geworden, nicht einfach zu einem plakativen Slogan." (Foto: Thijs Wolzak, © Museum für Kommunikation)


hat so Tausenden Menschen das Leben gerettet und macht das auch weiterhin. Und von dieser Geschichte haben wir gehört, als er für den Friedensnobelpreis nominiert wurde. Wir haben Mussie dann kontaktiert, ihn gebeten, sein Mobiltelefon unserer Sammlung zu übergeben und ihm im Gegenzug ein neues Telefon geschenkt. Und einer unser Kommunikator*innen hat diese Geschichte einer Integrationsklasse – eine Gruppe von eritreischen Flüchtlingen, die unser Museum besuchte – erzählt und ihr dieses Mobiltelefon gezeigt. Als die Flüchtlinge dieses sahen, sind sie in Tränen ausgebrochen, weil sie selber auf genau dieses Mobiltelefon angerufen haben.


Wie können die Kommunikator*innen sich mit ihren Erfahrungen aus dem Publikumskontakt in die Ausstellungskonzeption einbringen?

Die Zusammenarbeit zwischen Kuratorium und den Kommunikator*innen hat sich seit dem Start der neuen Kernausstellung sehr stark entwickelt. Wirklich kennengelernt hat das

Museumsteam die Kommunikator*innen erst im Laufe der Zeit und hat dann natürlich auch realisiert, dass sie alle ihre Steckenpferde und Fachexpertisen haben, die auch für die Kurator*innen von Interesse sein können. Entscheidend ist, dass in jedem Wechselausstellungsprojekt neben mir ein Platz reserviert ist für eine*n Kommunikator*in, häufig stocken wir dann auch das Pensum vorübergehend auf. Und auch sonst haben die Kommunikator*innen viele Möglichkeiten, eigene Ideen einzubringen. Eine unserer Kommunikator*innen kam eines Tages zu mir und sagte mir, ob wir uns eigentlich bewusst sein, wie viele Kinder unter vier Jahren unser Museum besuchen würden. Sie hatte angefangen, für sich eine Statistik zu machen und wir kamen dann in einer Hochrechnung auf rund 5000 Besuchende unter vier Jahren pro Jahr. Wir haben eigentlich immer gesagt, dass sich das Museum an Besuchende ab vier Jahren richtet. Die Kommunikatorin machte


In jedem Wechselausstellungsprojekt ist neben mir ein Platz reserviert für eine*n Kommunikator*in.

uns auf die Bedürfnisse unserer kleinsten Besuchenden aufmerksam und erarbeitete Massnahmen, die wir jetzt für diese Zielgruppe implementieren. Die gleiche Kommunikatorin hat sich auch auf das Thema Inklusion und Diversität spezialisiert und ist nun unsere Ansprechperson für Diversität. Das Thema kam also bottom-up in die Geschäftsleitung und wurde nun top-down bestätigt mit einer Diversitätsstrategie, die nicht entstanden wäre, wenn diese Kommunikatorin nicht gekommen wäre und uns darauf aufmerksam gemacht hätte, dass wir in diesem Bereich noch besser werden müssen.



Gallus Staubli in Wechselausstellungsraum, wo derzeit die neue Ausstellung "Planetopia – Raum für Weltwandel" (13.11.2022-23.7.2023) entsteht. Zum ersten Mal gestaltet das Museum für Kommunikation eine Ausstellung mit recyceltem Ausstellungsmobiliar.


Die Kommunikator*innen durchlaufen alle eine eigens vom Museum konzipierte Ausbildung. Was ist der Kern dieser Ausbildung? Welche Kompetenzen brauchen Kommunikator*innen in ihrer täglichen Arbeit?

Zunächst geht es um Konstruktivismus als Haltung. Die Kommunikator*innen sollen verinnerlichen, dass wir hier nach einem konstruktivistischen Lernbild funktionieren. Das heisst, dass das, was die Besuchenden an Wissen und Erkenntnis aufnehmen, stark von ihnen selbst und ihren Erfahrungen abhängt. Das ist die pädagogische Grundhaltung. Darüber hinaus arbeiten wir mit dem Riemann-Thomann-Modell, mit dem wir lernen, schnell zu erfassen, wie Menschen funktionieren – denn gerade auch bei der Ansprache von Besuchenden geht es viel um Nähe und Distanz. Das sind die zwei Grundtheorien, die entscheidend sind. Danach geht es schnell in die Praxis, wo Dialogführung, aktives Zuhören, Entgegennahme von Reklamationen und natürlich unser riesiger Fundus von Aktivitäten im Zentrum stehen. Und schliesslich müssen die Kommunikator*innen natürlich auch inhaltlich sattelfest werden.


Welche Anpassungen habt ihr in den vergangenen fünf Jahren gemacht?

Nach zwei Jahren haben wir in einem partizipatorischen Prozess verschiedene Massnahmen getroffen, um das Team bei Stange zu behalten und neu zu motivieren, sonst hätte es vielleicht mehr Abgänge gegeben. Es ist zum Beispiel herausgekommen, dass das ad hoc-Erarbeiten einer Aktivität morgens um halb zehn manchmal sehr witzig ist und Spass macht, manchmal aber auch einen Druck auslöst. Das Kommunikator*innen-Team wünschte sich deshalb, Aktivitäten im Voraus etwas elaborierter und langfristiger zu planen, um aus


Mittlerweile durchdringen die Kommunikator*innen mit ihren kreativen Ideen den Betrieb und stossen zahlreiche Projekte an. Das war nie Teil des Konzepts, aber es ist möglich geworden.

diesem Aktivitätenfundus im Alltag schöpfen zu können. Wir haben deshalb Entwicklungsteams geschaffen, in denen sich die Kommunikator*innen inhaltlich vertiefen und in diesen Bereichen auch Weiterbildungen absolvieren können.


Gibt es negative Punkte?

Es gibt schon negative Punkte, aber die sind bei uns im Konzept drin. Einer ist, dass es die einfachen Jobs bei uns nicht mehr gibt. Wir können nicht mehr Arbeitgeber sein für Personen, die keine Ausbildung haben. Aber insgesamt hat sich alles viel positiver entwickelt, als ich es jemals gedacht hätte. Mittlerweile durchdringen die Kommunikator*innen mit ihren kreativen Ideen den Betrieb und stossen zahlreiche Projekte an. Das war nie Teil des Konzepts, aber es ist möglich geworden.


Die Kommunikator*innen erarbeiten jeden Morgen eine halbe Stunde vor Museumsöffnung ad hoc eine Vermittlungsaktivität – häufig beginnen diese schon am Empfang oder wie hier am Eingang der Ausstellung.


Kann das Konzept der Kommunikator*innen eigentlich auch von Museen aus anderen Sparten übernommen werden?

Ja, es ist definitiv überall umsetzbar. Das Konzept basiert darauf, dass wir über ein Erlebnis, über eine sinnliche Erfahrung eine Ausgangslage schaffen, in der ein Dialog möglich ist. Und das ist mit allen Publikumsgruppen möglich. Vielleicht ist einfach der Anteil der Leute, die sich nicht auf ein Erlebnis einlassen wollen, je nach Museumssparte grösser oder kleiner. Und es haben ja auch schon andere Museen mit Kommunikator*innen gearbeitet, aber halt immer nur über einen befristeten Zeitraum. Ich denke, es gibt viele gute Projekte, aber in dieser Konsequenz, wie wir es hier machen, habe ich es bis jetzt nirgendwo sonst gesehen. Das macht es wohl auch spannend für andere Institutionen, mal genauer hinzuschauen und zu sich zu fragen, was sie tun müssten, um es bei ihnen ebenfalls umzusetzen. Und häufig


Das Konzept ist in jedem Museum umsetzbar. Es basiert darauf, dass wir über ein Erlebnis, über eine sinnliche Erfahrung eine Ausgangslage schaffen, in der ein Dialog möglich ist.

gibt es auf zwei Ebenen Widerstand: Einerseits besteht die Haltung, dass es unmöglich sei, Anstellungsbedingungen zu ändern. Und andrerseits ist man nicht bereit, von einer erkenntnisorientierten Vermittlung abzuweichen – mit dem Argument, dass man doch das Wissen und die Expertise der Kurator*innen habe. Und ich sage dann immer: Ja, dieses Wissen ist auch bei uns vorhanden. Aber in der personalen Vermittlung kann man anders arbeiten.


Gallus Staubli vor seinem Lieblingsobjekt: Die ERMETH, Elektronische Rechenmaschine der Eidgenössisch Technischen Hochschule Zürich – der erste in der Schweiz gebaute Computer.


Nun noch zu dir, denn du hast die Einführung der Kommunikator*innen ja massgeblich initiiert und begleitet. Du bist seit 1998 verantwortlich für die Bildung und Vermittlung im Museum für Kommunikation und warst lange Zeit auch im Vorstand von mediamus engagiert. Wie hast du eigentlich den Weg in die Vermittlung gefunden?

Ich habe das Lehrerseminar gemacht und wurde 1997 vom ersten Direktor des Museum für Kommunikation angefragt für die Leitung der Bildung und Vermittlung. Im Vergleich zu vielen anderen Vermittler*innen damals ging es mir sehr komfortabel, ich hatte fixe Stellenprozente, hatte ein Budget und ziemlich viele Freiheiten – daneben aber natürlich auch beträchtlichen Druck, weil es um ganz viel Output ging. Danach gab es eine Konsolidierungsphase, die es ermöglichte, die eigene Arbeit mal zu reflektieren und sich mit Theorien zu befassen. Zuvor habe ich einfach gemacht und musste überhaupt mal eine Nachfrage generieren, denn die 1200 Schulklassen, die heute jährlich unser Museum besuchen, gab es damals nicht. Und so habe ich eigentlich die ganze Entwicklung, welche das Berufsfeld der Vermittlung genommen hat, auch persönlich mitgemacht. Für mich war entscheidend, dass bei uns die Vermittlung im Rahmen einer Reorganisation dem Bereich Ausstellungen angegliedert wurde und seither direkt der Direktion unterstellt ist. Das war


Es geht auch um die Frage, wo wir uns wünschen, dass unsere Jugendlichen ihre Freizeit verbringen: in der Mall oder im Museum? Aber dafür müssen die Öffnungszeiten und Eintrittspreise angepasst werden.

super für mich und ich realisierte dann auch, dass dies in vielen Museen nicht der Fall ist. Dort ist die Vermittlung häufig dem Marketing untergeordnet oder hat eine Schnittstellenfunktion, und bei mir war klar, dass ich in allen Ausstellungsprojekten von A bis Z dabei bin. Und mittlerweile gibt es in den Museen eine neue Generation von Leitungspersonen, die anders ausgebildet ist und nicht mehr die Haltung hat, dass es in einem Museum keinen Dreck und Lärm geben dürfe. Und dieser Wandel führt jetzt auch dazu, dass sich Museen überlegen, wer sie überhaupt sind und ob sie für die Gesellschaft relevant sind. Museen sind Orte, bieten Räume und Möglichkeiten. Es geht auch um die Frage, wo wir uns wünschen, dass unsere Jugendlichen ihre Freizeit verbringen: in der Mall oder im Museum? Aber dafür müssen die Öffnungszeiten und Eintrittspreise angepasst werden. Und an dem arbeiten wir jetzt.


Was wünschst du dir für die Zukunft der Vermittlung? Wo steht die Vermittlung in zehn Jahren?

Ich hoffe, dass sich jene Museen durchsetzen, welche die Haltung haben, relevante Orte für die Gesellschaft zu werden. Museen, die ein breiteres, diverseres Publikum ansprechen und offene Partizipation zulassen wollen, bei der sie im Voraus nicht wissen, was passiert.



Interview: Silja Widmer

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