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Jessica Dieffenbacher


Leitet seit zweieinhalb Jahren die Abteilung Bildung und Vermittlung der Musées de Pully: Jessica Dieffenbacher.


Wir treffen Jessica Dieffenbacher an einem Mittwochmittag im Musée d’art in Pully. Das Museum ist noch geschlossen und die Altstadt des kleinen Städtchens scheint ausgestorben. Kaum zu glauben, dass hier zwei Stunden später grosser Andrang herrschen wird.


Die Musées de Pully vereinen zwei Institutionen unter einem Dach. Das Musée d’art de Pully stellt regionale und nationale Kunst aus, das ArchéoLab widmet sich dem Leben in der Römerzeit. Es beherbergt die baulichen Überreste einer römischen Villa, die in den 1970er-Jahren in Pully entdeckt worden sind. Während sich das Vermittlungsangebot des ArchéoLab vor allem an Kinder und Schulklassen richtet, weist das Musée d’art ein heterogenes Publikum auf und entwickelt dementsprechend Vermittlungsangebote, die den verschiedenen Alters- und Publikumsgruppen Rechnung tragen.


Liegt mitten in der Altstadt Pullys: Das Musée d'art, das gemeinsam mit dem ArchéoLab den Musées de Pully angehört.


Seit zweieinhalb Jahren leitet Jessica Dieffenbacher die Abteilung Bildung und Vermittlung der Musées de Pully und ist damit für das Vermittlungsprogramm beider Institutionen verantwortlich. Nach Abschluss des Masterstudiums in Kunstgeschichte an der Uni Lausanne war für Jessica schnell klar, dass sie den Weg in die Museumswelt einschlagen würde. “Ich wollte erfahren, wie ein Museum genau funktioniert und habe deshalb verschiedene Praktikas und Stellvertretungen in Museen angenommen. Aber ich habe mir nicht gesagt: Ich möchte später unbedingt in der Kulturvermittlung arbeiten.” Diese Möglichkeit habe sich eher zufällig ergeben, nachdem sie zuvor Erfahrungen als Kuratorin und Registrarin gesammelt habe. Was sie an der Kulturvermittlung aber von Anfang an besonders fasziniert habe, seien die menschlichen Begegnungen. Die Freude an diesen Begegnungen ist bis heute geblieben, auch wenn Jessica mittlerweile nur noch selten Vermittlungsangebote durchführt. Einen Grossteil ihres Aufgabenbereichs nimmt inzwischen die strategische und konzeptionelle Arbeit ein. “Aber mir fehlt es nicht. Ich ziehe den strategischen Bereich vor und an den Veranstaltungen nehme ich ja trotzdem noch teil. Wenn ich das nicht mehr hätte und nur noch in einem Büro arbeitete, würde es mir wohl fehlen, aber so stimmt es für mich.”


“Die Vermittlung ist bei uns auf der gleichen Ebene wie das Kuratorium angesiedelt, also auch absolut gleichwertig was zum Beispiel die Gehaltsklasse anbelangt.”

Für Jessica ist der strategische Schwerpunkt ihrer Arbeit auch eine positive Folge davon, dass der Vermittlung in den Musées de Pully ein sehr wichtiger Stellenwert zugesprochen wird. “Die Vermittlung ist bei uns - auch im Organigramm - auf der gleichen Ebene wie das Kuratorium angesiedelt, also auch absolut gleichwertig was zum Beispiel die Gehaltsklasse anbelangt.” Es sei nicht so, wie sie es zum Teil in anderen Museen erlebt habe, dass die Vermittlung einfach zu einem Mittel im Dienste anderer Abteilungen degradiert werde, sondern es gehe wirklich um eine enge Zusammenarbeit auf Augenhöhe.


Dient als Vorbild für kommende Ausstellungen: Die aktuelle Ausstellung "Construire + Malin = Romain" des ArchéoLab, die in enger Zusammenarbeit zwischen Kuratorium und Vermittlung konzipiert wurde.


Dies zeige sich besonders in der aktuellen Ausstellung “Construire + Malin = Romain” des ArchéoLab, welche in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein konzipiert worden ist und die Besuchenden, namentlich die Kinder, direkt miteinbezieht. Diese werden auf der Baustelle der römischen Villa in Pully willkommen geheissen und gebeten, dem Architekten Tournevis als Zimmermann, Maurer, Steinmetz oder Schmied unter die Arme zu greifen, um die Bauarbeiten fertigzustellen. “Man kann in der Ausstellung berühren, verändern, experimentieren. All das ist aus der Idee entstanden, dass man - pädagogisch gesehen - viel mehr versteht, wenn man es selbst macht”, erklärt Jessica. Gemeinsam mit den Kuratoren hätten sie besprochen, was an wissenschaftlichem Inhalt in die Ausstellung integriert werden könne und was zu viel wäre. Dies immer vor dem Hintergrund, dass bereits die Ausstellung eine Form der Vermittlung sei. Und Jessica zieht ein sehr positives Fazit: “Die Zusammenarbeit zwischen Kuratorium und Vermittlung war nicht einfach nur machbar, sondern funktionierte tatsächlich sehr gut und war für alle bereichernd.” Und das Beste sei, dass die Ausstellung auch vom Publikum sehr gut aufgenommen werde.


"Man kann in der Ausstellung berühren, verändern, experimentieren": Jessica Dieffenbacher über das ArchéoLab, dessen Vermittlungsprogramm sich vor allem an Kindern und Schulklassen orientiert.


Die positiven Erfahrungen bestärken das Team der Musées de Pully, in Zukunft auch im Musée d’art Ausstellungen zu konzipieren, die von Beginn an von Vermittlung und Kuratorium gemeinsam entwickelt und getragen werden. “Eine solche Ausstellung würde sich natürlich von jener im ArchéoLab unterscheiden, weil man nicht die gleichen Publikumsgruppen anspricht, aber wir wollen es versuchen und testen, ob es auch in der Gegenwartskunst möglich ist - mit einem Publikum, das etwas älter und heterogener ist. Das heisst, die Idee muss sich noch entwickeln, aber es gibt nun ein Bewusstsein für die Chancen einer engen Zusammenarbeit zwischen Kuratorium und Vermittlung.”


“Der wissenschaftliche Inhalt verliert nicht an Bedeutung, wenn die Vermittlung mehr Wichtigkeit erhält.”

Jessica glaubt nicht, dass die Zusammenarbeit zwischen Vermittlung und Kuratorium in einem kleineren Museum einfacher ist als in einer grösseren Institution. “Es gibt im Ausland zahlreiche Beispiele grosser Museen, bei denen diese Zusammenarbeit bereits jetzt erfolgreich ist. In der Schweiz hinken wir diesbezüglich einfach noch etwas hinterher.” Es gebe sehr ermutigende Projekte und man spüre, dass sich etwas bewege. Allerdings, müsse - vor allem auch auf Direktionsstufe - noch ein stärkeres Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass die Vermittlung keine Konkurrenz zum Kuratorium darstelle. “Der wissenschaftliche Inhalt verliert nicht an Bedeutung, wenn die Vermittlung mehr Wichtigkeit erhält”, betont Jessica. Für sie sei klar, dass Museen sich ohnehin weiterentwickeln müssen, wenn sie in der heutigen Zeit, in der die Gesellschaft ganz anders aufgestellt sei als noch zur Gründungszeit der meisten Museen, bestehen bleiben wollen. “Umso wichtiger ist es, sich nicht gegenseitig als Konkurrenz zu betrachten, sondern sich gemeinsam dieser Herausforderung zu stellen und sich zu fragen, wie man als Museum innerhalb der Gesellschaft eine zentrale Stellung halten kann. Und in diesem Bereich nimmt die Vermittlung eine sehr wichtige Rolle wahr.”


"Die Themenschwerpunkte der Vermittlung sollen nicht primär einer bestimmten Ausstellung untergeordnet sein, sondern eine Verbindung zu jenen Themen aufweisen, die das Museum auch intern beschäftigen." Einblick in das Atelier "Initiation au graphisme", das im Rahmen des diesjährigen Themenschwerpunkts "Les métiers du musées" für 4-7-Jährige angeboten wird.


Während unseres Gesprächs bereitet Jessicas Kollegin Julie Biermann den Workshop “Initiation au graphisme” vor, der an diesem Nachmittag für 4-7-Jährige angeboten wird. Der Workshop ist Teil des diesjährigen Themenschwerpunkts "Les métiers du musée". “Wir wählen jedes Jahr gemeinsam mit der Direktion ein Thema aus, zu dem wir mit verschiedenen Altersgruppen und in verschiedenen Formaten arbeiten”, erklärt Jessica.


"Ich finde, dass unser Publikum genügend weiss und von uns die Ausstellung nicht erklärt erhalten muss. Die Besuchenden bringen ihren Erfahrungs- und Wissenshintergrund mit und wir unseren und dann schauen wir, wohin uns das führt."

Dieses Jahr gehe es darum, dem Publikum zu zeigen, mit wem man im Museum zusammenarbeite, also zum Beispiel mit Kulturvermittler*innen, Kurator*innen, Direktor*innen - oder eben auch mit Grafiker*innen, die man für die Kommunikation heranziehe. “Wichtig ist uns, dass die gewählten Themenschwerpunkte nicht primär einer bestimmten Ausstellung untergeordnet sind, sondern eine Verbindung aufweisen zu jenen Themen, welche das Museum auch intern beschäftigen”, präzisiert Jessica. Damit möchte sie vermeiden, jene aus ihrer Sicht veraltete Vermittlungshaltung einzunehmen, die den Besuchenden zu erklären versucht, was sie angeblich nicht wissen würden. “Ich finde, dass unser Publikum genügend weiss und von uns die Ausstellung nicht erklärt erhalten muss. Die Besuchenden bringen ihren Erfahrungs- und Wissenshintergrund mit und wir unseren und dann schauen wir, wohin uns das führt.” Diese offene Haltung ist Jessica ein grosses Anliegen. Dennoch räumt sie ein, dass “herkömmliche”, an die Ausstellung gebundene Vermittlungsangebote wie beispielsweise öffentliche Führungen beibehalten würden, da es immer ein Publikum geben werde, das erwarte, dass man Erklärungen liefere, die Botschaft eines Werks erläutere oder den historischen Hintergrund vermittle. Aber parallel dazu gebe es die Vermittlung, die für sich selbst stehe. Die Wahl eines jährlichen, von den Ausstellungen unabhängigen Themenschwerpunktes sei ein erster Schritt in diese Richtung.


"Es wird immer ein Publikum geben, das erwartet, dass man Erklärungen liefert und die Botschaft eines Werks erläutert. Diese Art von Vermittlungsangebote behalten wir bei, aber daneben hat das Museum auch die Aufgabe, sich weiterzuentwickeln, dies zu überwinden und viel mehr zu bieten."

Die Positionierung der Vermittlung als eigenständige museale Disziplin beschäftigt Jessica schon seit längerer Zeit. “Ich beobachte, dass die Vermittlung in vielen Museen einen unklaren, unscharfen Status hat. Das zeigt sich beispielsweise auch darin, dass die Vermittlung immer noch nicht als eigenständige Disziplin betrachtet oder unterrichtet wird.” Letztes Jahr habe sie gemeinsam mit der Direktorin der Musées de Pully, Delphine Rivier, sowie einer Kuratorin des Archéolab an der Uni Lausanne einen Kurs zum Thema "La médiation culturelle aujourd’hui: entre prise de conscience et phénomène de mode" angeboten und gemerkt, dass es bereits eine grosse Herausforderung sei, überhaupt eine gemeinsame Definition von Kulturvermittlung zu finden.


Jessica ist es ein Anliegen, dass die Kulturvermittlung in Museen nicht nur als Werkzeug, sondern als eigenständige wissenschaftliche Disziplin betrachtet wird: Einblick in das Vermittlungsatelier des Musée d'art de Pully.


Nach Ansicht von Jessica hängt dies damit zusammen, dass die Kulturvermittlung in Museen aus einem praktischen Aspekt heraus geboren worden und deshalb schwierig fassbar sei. "Umso wichtiger ist es" - so Jessica - "dass das Metier einen theoretischen Diskurs entwickelt und nicht einfach nur als Werkzeug, sondern als eigenständige wissenschaftliche Disziplin betrachtet wird.“ Dazu gehöre auch, Forschung zu betreiben, Zahlen und Fakten zu liefern und zu untersuchen, was in der Praxis funktioniere und was nicht. Denn das sei essentiell für die Wertschätzung und den Stellenwert der Vermittlung innerhalb der Institutionen.


"Ich beobachte, dass die Vermittlung in vielen Museen einen unklaren, unscharfen Status hat."

Eine zentrale Rolle kommt der Vermittlung auch im Bereich der Inklusion und kulturellen Teilhabe zu - seit letztem Jahr ein neuer Schwerpunkt der Musées de Pully. So ist in Zusammenarbeit mit externen Experten eine Inklusionsstrategie erarbeitet worden, die mit dem Label “Kultur inklusiv” ausgezeichnet wurde und unter anderem auch einen Ausbau des Vermittlungsprogramms vorsieht. In den vergangenen Monaten wurde deshalb das bestehende Vermittlungsangebot um ein neues Format ergänzt, das sich speziell an Kinder mit Autismus richtet. Dabei wurde kein komplett neues Vermittlungsangebot entwickelt, sondern versucht, in enger Zusammenarbeit mit Psychologen sowie der Fachstelle “Kultur inklusiv” das bestehende Vermittlungsangebot des ArchéoLab den Bedürfnissen von Kindern mit Autismus anzupassen.


Im Rahmen der neuen Inklusionsstrategie der Musées de Pully wurde versucht, in enger Zusammenarbeit mit Psychologen und der Fachstelle “Kultur inklusiv” das bestehende Vermittlungsangebot des ArchéoLab den Bedürfnissen von Kindern mit Autismus anzupassen: Einblick in das ArchéoLab.


“Wichtig war zum Beispiel, die Kinder auf den Museumsbesuch vorzubereiten, um Ihnen Vertrauen zu vermitteln. Wir gaben den Kindern im Vorfeld die Möglichkeit, sich untereinander kennenzulernen und kündigten an, dass man sich das nächste Mal an einem anderen Ort, in einem Museum, treffen würde. „Diesen Ort stellten wir dann vor", erklärt Jessica. In der Testphase sei es zunächst eine Zusammenarbeit mit ausgewählten Institutionen gewesen, nun sei es aber ein dauerhaftes Angebot, das interessierte Institutionen auf Anfrage buchen könnten. Und längerfristig sei das Ziel, dass es - ganz im Sinne der Inklusion - zu einem selbstverständlichen Teil des Vermittlungsangebotes werde. Nach den ersten positiven Erfahrungen mit den Workshops für Kinder mit Autismus im ArchéoLab initiiert im kommenden Jahr nun auch das Musée d’art ein Angebot im Bereich der Inklusion. Dieses richtet sich an eine ganz andere Zielgruppe, und zwar an Senioren mit altersbedingten kognitiven und sensorischen Handicaps. “Für diese Personen gibt es oft kein Vermittlungsangebot und wir haben uns deshalb gefragt, was wir in Bezug auf die Ausstellung, die Szenografie und die Zugänglichkeit verbessern könnten, um diesen Personen den Gang ins Museum zu erleichtern”, erläutert Jessica.


"Digitale Medien erlauben es, das Museum als Ort zu denken, der nicht fix ist, sondern in Bewegung. Anstatt dass die Leute zu uns kommen, gehen wir zu den Leuten."

Eine wichtige Rolle spricht Jessica im Zusammenhang mit der Inklusion auch digitalen Medien zu. Diese könnten Personen, die - wie beispielsweise ältere Menschen – nicht in der Lage sind, selbst ins Museum zu kommen, einen Zugang zum Museum und zu Ausstellungen bieten. “Das erlaubt, das Museum als Ort zu denken, der nicht fix ist, sondern in Bewegung. Anstatt dass die Leute zu uns kommen, gehen wir zu den Leuten”. Für Jessica ist dieser virtuelle Zugang eine neue Möglichkeit der Kulturvermittlung. Die Digitalisierung nehme mittlerweile in der Gesellschaft eine solch wichtige Rolle ein, dass es auf der Hand liege, diese auch in der Vermittlung zu integrieren. Aber digitale Medien müssen gezielt und reflektiert eingesetzt werden. Dass Jugendliche lieber auf dem iPad als auf Papier schreiben würden, reiche nicht als Argumentation.


Jessicas Lieblingsgemälde aus der aktuellen Ausstellung "Paris en fête" des Musée d'art de Pully: Raoul Dufys "Paris et la Tour Eiffel" (1936).


Die Befürchtung, dass die Digitalisierung die Arbeit von Kulturvermittler*innen gefährden oder gar ersetzen könnte, teilt Jessica nicht: “Die Vermittlung lebt von den menschlichen Begegnungen”. Diesem Austausch liege etwas Magisches zugrunde, das nicht sicht- oder greifbar sei und das niemals durch das Digitale ersetzt werden könne. “Aber als Museen müssen wir uns fragen, wie wir uns in einer sich wandelnden Welt weiterentwickeln wollen, so wie das angesichts der Digitalisierung alle Institutionen, Unternehmen und Privatpersonen machen müssen. Denn unser Ziel muss sein, integraler Bestandteil dieser Gesellschaft zu bleiben.”




Text und Fotos:

Silja Widmer


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