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Sarah Stocker

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Co-Leiterin der Kunstvermittlung im Museum Tinguely und Vorstandsmitglied von mediamus: Sarah Stocker


Ich treffe Sarah Stocker an einem regnerischen Mittwochnachmittag. Als ich das Foyer des Museums Tinguely betrete, strahlt mir eine junge Frau entgegen und heisst mich willkommen. Es ist nicht Sarah, sondern Fabienne. Sie arbeite noch nicht lange im Team der Besucher:innenbetreuung, erzählt sie mir. Als Teil des «machTheater»-Teams, hat sie über die Kunstvermittlung ans Museum Tinguely gefunden. Wie genau, erfahre ich im Gespräch mit Sarah Stocker.


Liebe Sarah, du bist seit 2023 Vorstandsmitglied von mediamus. Für alle Mitglieder, die dich noch nicht kennen: wie bist du zur Kunstvermittlung gekommen?

Mein Weg ist eigentlich seit Anfang Studium sehr geradlinig verlaufen. Ich habe im Bachelor und Master Art Education an der Hochschule der Künste in Bern [HKB] studiert. So habe ich die Kunstvermittlung kennengelernt. Ich habe damals zwar auf Lehramt studiert, habe aber bewusst die HKB ausgewählt, weil man dort durch die Zusammenarbeit mit dem Institut für Kunstgeschichte an der Uni Bern noch mehr Qualifikationen für den Museumsbereich erwirbt. Dort habe ich eigentlich entschieden, dass ich in der Kunstvermittlung Fuss fassen möchte.


War dir demnach schon während deinem Studium klar, dass du im Museum arbeiten möchtest?

Genau, das wusste ich eigentlich schon früh. Inspiriert war diese Entscheidung vermutlich durch meine Zeit im Vorkurs in Basel. Damals haben wir mit unserer Klasse jede Woche eine neue Ausstellung besucht. Das war für mich unglaublich inspirierend. Dort habe ich den Reiz des Museums als Kontext entdeckt. Nachher im Studium wollte ich gerne noch praktische Erfahrungen sammeln. Ich habe dann zwei Praktika gemacht, die eigentlich nicht zum Curriculum gehörten. Dadurch habe ich das Berufsfeld besser kennengelernt und ich habe gemerkt, was es zu bieten hat.


An welchen Institutionen hast du deine beiden Praktika absolviert?

Ich war damals in Genf am Centre d’Art Contemporain bei «microsillons», ein Kollektiv, das kritische Vermittlung betreibt. Ich konnte von dieser Zusammenarbeit sehr viel mitnehmen. Das zweite Praktikum habe ich am San Francisco Museum of Modern Art am Departement für «Interactive Educational Technologies» gemacht. Ich hatte den Leiter des Departements an einer Konferenz kennengelernt. Danach habe ich mich da beworben für ein «Summer Internship», was sehr mir sehr gut gefallen und mir Lust auf mehr gemacht hat.


Seit 2019 bist du Co-Leiterin der Kunstvermittlung am Museum Tinguely in Basel. Wie kamst du zu dieser Aufgabe?

Gegen Ende meines Studiums habe ich langsam die Fühler ausgestreckt und mich gefragt, wo ich in diesem Feld wohl ein Plätzchen finden würde. Mir war von Anfang an bewusst, dass die Stellensuche nicht einfach sein wird. Ich habe mich dann während der Masterarbeit für ein Volontariat in der Kunst- und Kulturvermittlung am Kunsthaus Pasquart und dem Museum Neuhaus in Biel beworben und die Stelle auch bekommen. Das war eigentlich mein Tor zur Arbeitswelt. Durch das Volontariat habe ich neue Institutionen kennengelernt und mein Netzwerk erweitert. Da habe ich zu mir gesagt: «Wenn es irgendwie geht, mache ich das gerne weiter!» Mit den Jahren ist mein Pensum stetig gestiegen. Ich war offen für diverse Projekte und im Bereich Kunstvermittlung war Vieles möglich. Das war damals sehr schön zu beobachten, dass das Feld laufend wächst und sich weiterentwickelt. Das war zu der Zeit als Pro Helvetia die Förderung der Kunstvermittlung als neue Aufgabe übernahm. Bei der Herausarbeitung neuer Förderstrukturen konnte ich mitwirken. Es war toll, diese Dynamik mitzuerleben.

Irgendwann, nach fast 8 Jahren in Biel wollte ich herausfinden, wo es für mich weitergehen könnte. Und dann hatte ich das Glück, dass diese Stelle im Museum Tinguely frei wurde und meine Bewerbung funktioniert hat. Die Stelle hat mir super entsprochen, mit 60% und der Ausrichtung auf Schulklassen und Kinder.


Das war damals sehr schön zu beobachten, dass das Feld laufend wächst und sich weiterentwickelt. Das war zu der Zeit als Pro Helvetia die Förderung der Kunstvermittlung als neue Aufgabe übernahm. Bei der Herausarbeitung neuer Förderstrukturen konnte ich mitwirken. Es war toll, diese Dynamik mitzuerleben.

Am Museum Tinguely bist du als Co-Leiterin tätig. Wie ist die Vermittlungsabteilung bei euch organisiert?

Bei uns am Haus gibt es eine lange Tradition, dass die Vermittlung von zwei Personen geleitet wird. Seit einigen Jahren haben wir zudem noch einen Praktikanten oder eine Praktikantin, die unser Team jeweils für sechs Monate unterstützt. Meine Co-Leiterin Lilian Steinle und ich sind verantwortlich für die Konzeption und Durchführung von Workshops für Schulklassen. Zudem leiten wir den Kinderclub, ein wöchentlich wiederkehrendes Angebot. Führungen hingegen werden von freien Mitarbeitenden, den Guides, durchgeführt. Die Kunstvermittlung im Museum Tinguely ist nicht auf Kurator:innenebene angesiedelt, das ist ein Unterschied zu anderen Häusern. Das gibt uns aber vielleicht auch eine gewisse Narrenfreiheit. Natürlich ist es auch eine Zeitfrage. Wenn wir noch mehr in Ausstellungsprojekte involviert wären, dann müssten wir das mit dem Pensum irgendwie anders lösen … Die Tendenz geht ein bisschen in diese Richtung, mal schauen, wie sich das weiterentwickeln wird.


Mich würde interessieren, welche Vorteile diese Organisationsstruktur deiner Meinung nach mit sich bringt.

Ich denke, ein Vorteil ist, dass wir trotz der Leitungsfunktion im Feld tätig sind und nicht nur den ganzen Tag vor dem Computer sitzen und Formate konzipieren und planen. Wir sind immer wieder unterwegs mit Schulklassen, wir stehen mit Leuten vor Kunstwerken und sprechen darüber, wir sind im Atelier, … Dadurch entsteht eine schöne Nähe zum Publikum.

Wir haben aber auch immer wieder Momente, in denen wir uns in unsere Büros zurückziehen und über längere Zeit an einem Projekt arbeiten. Dieser Mix zwischen konzeptueller Arbeit und der Arbeit im Feld finde ich sehr toll.


Gibt es Nachteile?

Ähm, ich hätte eigentlich gerne mehr Austausch mit den Guides. Das ist jedoch schwer zu organisieren, denn wenn Guides für Führungen ans Museum kommen und auch dafür bezahlt werden, kann man nicht noch andere Dinge von ihnen verlangen.


Neben deinen Festanstellungen hast du schon an vielen unterschiedlichen Institutionen als freie Kunstvermittlerin gearbeitet. Wie beeinflusst diese Erfahrung deine aktuelle Tätigkeit?

Die Erfahrung schwingt natürlich mit und manchmal ist es auch schwierig, konkret den Finger auf etwas zu zeigen und zu bestimmen, wie einem das beeinflusst hat. Ich denke es fördert eine gewisse Offenheit, dass man nicht zu festgefahren ist und sieht, dass Dinge auch anders gemacht werden können. Wir haben aktuell ein Projekt angezettelt, das sehr viel Offenheit braucht, weil es einen Prozess beinhaltet, bei dem wir nicht schon im Voraus wissen, was das Resultat sein wird. Wir wollen mit den Teilhabenden zusammen etwas entwickeln.


Kannst du mehr über dieses Projekt erzählen?

Es handelt sich um ein Projekt, das wir im Rahmen von «Kultur inklusiv» entwickelt haben. 2024 findet das Jubiläum der Ratifizierung der UNO-Behindertenrechtskonvention durch die Schweiz statt. In diesem Rahmen werden Aktionstage durchgeführt, an denen wir mit unserem Projekt teilnehmen wollen. Für das Projekt haben wir Leute kontaktiert, die von einer Sehbeeinträchtigung betroffen sind und Interesse haben, beim Projekt mitzuwirken und ihre Erfahrungen, ihr Wissen und ihre Bedürfnisse einzubringen. Die Ausschreibung war sehr offen formuliert und beinhaltet vier Treffen. Wir haben die Chance, dass wir die Beteiligten bei jedem Treffen mit einem Sitzungsgeld entlöhnen können … (überlegt). Vielleicht ist das etwas, was von meinen früheren Erfahrungen geprägt ist: Dass es mir wichtig ist, Beteiligte an einem Projekt angemessen zu entlöhnen. Das ist vermutlich so, weil ich eben auch lange in der Situation einer freien Mitarbeiterin war. Eigentlich müsste es ja logisch sein, dass man Personen entlöhnt für ihre Arbeit, ist es aber leider nicht.


Ich denke, dass die eigene Erfahrung bei diesen Themen einen Unterschied macht.

Genau, ich kann mich sehr gut zurückerinnern, dass ich damals oft Fragen gestellt habe, wie zum Beispiel: «Also wenn wir jetzt da eingeladen werden, ist das dann entlöhnt oder nicht?» Denn das ist alles relevant, um zu wissen, ob man sich die Zeit nehmen kann oder nicht, weil sich die Arbeit ja rechnen muss.

… Aber zurück zum Projekt: Auf die Ausschreibung haben sich über zehn Interessierte gemeldet, die wir vor Weihnachten treffen durften. In einer ersten Runde wollten wir sie kennenlernen und ihre Erfahrungen abtasten. Es finden insgesamt drei Treffen statt, bis das Projekt im Juni lanciert wird.


Also das heisst, Form, Inhalt, Konzept, das wird nun alles mit den teilhabenden Personen kreiert?

Ja genau, wir wollen es mit ihnen zusammen konzipieren. Wir müssen jetzt noch rausfinden, wie stark sie in der Umsetzung auch involviert sein können. Es ist eine rechte Wundertüte …(lacht).


Ist es zum ersten Mal, dass ihr ein Projekt lanciert, wobei das, was dabei rauskommt, komplett offen ist?

Nein, es ist eigentlich das zweite Mal. 2022 haben wir ein Projekt mit der Stadtreinigung Basel lanciert. Dieses Projekt hat im Rahmen der Ausstellung «Territories of Waste» stattgefunden. Wir hatten damals während der Coronaschliessungszeit den Freiraum, um mit genügend Vorlauf eine Idee zu entwickeln und diese der Kuratorin zu präsentieren. Das kam glücklicherweise sehr gut an. Toll war auch, dass die Stadtreinigung sofort Feuer und Flamme war und das Projekt dann auch unterstützt hat. Die Mitarbeiter der Stadtreinigung durften Arbeitsstunden aufschreiben, wenn sie zu uns kamen und an Treffen teilnahmen. Das war eine total spannende Zusammenarbeit. Ich mag es, wenn man sich über eine längere Dauer mit Leuten über Kunst oder die Inhalte einer Ausstellung unterhalten kann, ihre Sicht auf die Dinge kennenlernen darf und mit ihnen zusammen etwas entwickeln kann. Bei diesem Projekt kamen Führungen raus. Das ist vielleicht nicht ganz Zufall (lacht) … Das ist oft eine Schwierigkeit: Wie kann man jemandem ein Konzept gut vermitteln, wenn es noch sehr offen ist, ohne zu viele Beispiele zu geben. Denn dann besteht die Chance, dass die Teilnehmenden zu diesen Beispielen zurückkommen. Und natürlich stellt sich auch immer die Frage, was man in einen bestimmten Zeitraum umsetzen kann, technisch und finanziell. Alles ist natürlich nicht möglich. Ich denke das Tolle am Format war, dass die Teilnehmenden selber die Stimme aus dem Museum ergreifen konnten, um das Publikum willkommen zu heissen und aus ihrer Expertensicht – es waren wirklich nur Männer (lacht) – zum Thema Abfall im Zusammenhang mit Kunstwerken zu berichten. Da sind sehr spannende Gespräche entstanden.


Ich mag es, wenn man sich über eine längere Dauer mit Leuten über Kunst oder die Inhalte einer Ausstellung unterhalten kann, ihre Sicht auf die Dinge kennenlernen darf und mit ihnen zusammen etwas entwickeln kann.

Das heisst, die Mitarbeiter der Stadtreinigung haben selber Führungen durch die Ausstellung durchgeführt und sind mit den Besuchenden zum Thema Abfall in der Kunst oder Wiederverwertung ins Gespräch getreten?

Genau, «Territories of Waste» war eine Gruppenausstellung, bei der zeitgenössische Positionen zum Thema «waste» gezeigt wurden. Die Mitarbeiter der Stadtreinigung waren bei der Gestaltung der Führungen frei. Sie haben sich dann bestimmte Werke ausgesucht, sich in Gruppen aufgeteilt und bestimmte Schwerpunktthemen festgelegt, wie beispielsweise «Unsere Arbeit als Kunst?». Das Ziel war es vor allem, ins Gespräch zu kommen mit dem Publikum.


Das Museum Tinguely trägt das Label «Kultur Inklusiv». Als Institution seid ihr demnach bemüht, laufend neue Angebote für Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Welche Rolle nimmt die Kunstvermittlung in diesem Prozess ein?

Das Bemühen um Kultur inklusiv ist am Museum Tinguely bei uns, also bei der Kunstvermittlung, angesiedelt. Also natürlich ist es etwas, das sich im ganzen Museum verbreitet hat, aber bei uns läuft alles zusammen. Andres Pardey, der Stellvertretende Direktor, ist unser direkter Vorgesetzter, und mit ihm haben wir eine Ansprechperson, die sich sehr für die Kunstvermittlung und Kultur inklusiv interessiert. In Absprache mit dem gesamten Team versuchen wir, das Anliegen in alle Abteilungen zu tragen, also dass es nicht nur bei uns bleibt, sondern sich eben alle dafür engagieren. Die Abteilung Kunstvermittlung nimmt beispielsweise keinen Einfluss auf die Ausstellungseinrichtung, aber wenn wir eine inklusive Institution sein wollen, ist es wichtig, dass auch die Einrichtung unserer Ausstellungen zugänglich ist, denn als Institution haben wir die «Charta zur Kulturellen Inklusion» unterschrieben.


Hast du ein Beispiel dafür, wie ihr das Anliegen der Barrierefreiheit in andere Abteilungen trägt?

Ein schönes Beispiel ist, dass wir im Team der Besucher:innenbetreuung, die nicht bei der Kunstvermittlung angesiedelt ist, neu eine Person einstellen konnten, die Trisomie 21 hat und aus dem Team des «machTheater» kommt. Das ist eine Schauspielgruppe aus Zürich, in der junge Menschen mit Beeinträchtigung eine Schauspielausbildung machen und Produktionen realisieren können. Wir, also die Kunstvermittlung, haben die Zusammenarbeit mit «machTheater» initiiert über Führungen, die sie bei uns am Haus anbieten. Aus der Kooperation in unserer Abteilung ergab sich dann die Möglichkeit, dass wir einer Schauspielerin des «machTheaters» einen Arbeitsplatz im Team der Besucher:innenbetreuung anbieten konnten. Das ist unser Ziel, dass wir die Samen streuen können und sich das Anliegen der Inklusion dann weiterentwickelt. Ein Grundpfeiler dafür sind sicher die Sensibilisierungen, die bei uns am Haus einmal pro Jahr stattfinden und an der alle Mitarbeitenden des Museums teilnehmen müssen. Dadurch wissen alle, wie sie sich für ein inklusiveres Museum einsetzen können.

 

Das Museum Tinguely hat jährliche Schwerpunkte zu unterschiedlichen Beeinträchtigungsformen festgelegt. 2024 wird der Fokus auf Angeboten für Menschen mit Sehbehinderungen und blinden Personen liegen. Weshalb habt ihr euch für die Schwerpunktsetzung entschieden? Welche Vorteile bringt dies mit sich?

Es erleichtert die Arbeit. Das Feld von Beeinträchtigungen ist unglaublich vielfältig, und unterschiedliche Beeinträchtigungen bringen verschiedene Bedürfnisse mit sich, die sich teils auch gegenseitig widersprechen. Leute, die sich beispielsweise sehr auf das Gehör verlassen und mit dem Sehsinn nicht genügend Informationen bekommen, haben andere Bedürfnisse, als Menschen, die sich nicht auf das Gehör verlassen können und demnach sehr auf den Sehsinn angewiesen sind. Es gäbe noch so viel zu tun. Deshalb muss man immer eine Auswahl treffen, sich beschränken, damit man auch wirklich etwas erreichen kann. Und mit dieser Schwerpunktsetzung schafft man das besser.


Die Schwerpunktsetzung ist demnach eine Art Spezialisierung, durch die ihr euch während eines Jahres Wissen aneignet, das ihr dann auch weitertragt. Wie der von dir erwähnte Samen, der, nachdem er gesetzt wurde, ja stets weiterwächst…

Genau, die Arbeit rund um Teilhabe und Inklusion ist immer aufbauend. Man trägt ja alles mit, was man schon gewonnen hat an Erfahrungen, was man schon dazugelernt hat oder umsetzen konnte. Wenn wir beispielsweise den Schwerpunkt «Sehen» haben, führen wir unsere Führungen in Gebärdensprache weiter. Oder auch die Führungen von «machTheater», die sind fester Bestandteil unseres Programms. So ist es ein stetiges Wachsen und Dazulernen.


Hattest du durch die Zusammenarbeit mit beeinträchtigten Personen schon Erkenntnisse, durch die du das Museum als Institution nochmals aus einer neuen Perspektive wahrgenommen hast? Dass dir durch eine Zusammenarbeit eine neue Sichtweise auf etwas Vertrautes eröffnet wurde?

Ja absolut. Was man immer wieder lernt, ist, dass es wichtig ist, auf Details achtzugeben. In der Vorbereitung einer Führung oder eines Workshops denkt man oft an die grossen Punkte: Welche Kunstwerke und Inhalte will man besprechen? Aber was auf dem Weg dorthin passiert oder welche Stolpersteine einem da begegnen, vergisst man oft. Um an einem Workshop oder einer Führung teilzunehmen, muss man bei uns zum Beispiel hoch in die Garderobe gehen, um das Gepäck einzuschliessen und die Jacke aufzuhängen. Das sind alles Teile des Museumsbesuches, die man vielleicht nicht als wichtig betrachtet, das ist ja aus Sicht der Kunstvermittlung nicht sonderlich spannend, aber aus Sicht der Zugänglichkeit ist es enorm wichtig. Der Teufel steckt im Detail, das ist eine wichtige Erkenntnis.


Was man immer wieder lernt, ist, dass es wichtig ist, auf Details achtzugeben. In der Vorbereitung einer Führung oder eines Workshops denkt man oft an die grossen Punkte: Welche Kunstwerke und Inhalte will man besprechen? Aber was auf dem Weg dorthin passiert oder welche Stolpersteine einem da begegnen, vergisst man oft.

Das ist spannend, denn die meisten Institutionen sind ja in Abteilungen unterteilt, wie Kuratorium, Besucherservice, Kulturvermittlung, … Diese Trennung macht, dass oft vergessen geht, dass eben alle Bestandteile des Museums zugänglich sein müssen: die Texte, die Website, die Räumlichkeiten …

Genau, das sind eben diese Details, die auch Zeit erfordern. Oft hat man das Gefühl, das kann man dann zackzack alles noch schnell zugänglich machen. Aber das ist eben nicht so, das braucht Zeit und Geduld. Aber es tut ja auch allen gut, wenn man ein bisschen das Tempo rausnimmt, um dafür die Zugänglichkeit zu verbessern.


Hast du das Gefühl, dass in Schweizer Museen in Bezug auf Zugänglichkeit und Angebote für Personen mit Beeinträchtigungen genug läuft oder denkst du, diese Bestrebungen sind sehr institutionsabhängig?

Ich denke es ist sehr institutionsabhängig. Die Fachstelle Kultur inklusiv hat viel gemacht für die Verbreitung dieses Engagements. Ich hoffe, dass diese Dynamik nicht ins Stocken gerät, jetzt wo die Fachstelle bedauerlicherweise quasi aufgelöst wurde. Eigentlich wäre es eine Bereicherung für alle Museen, wenn mehr Engagement geleistet werden könnte. Es kann definitiv noch mehr gemacht werden, aber auch bei uns …


Wir haben nun viel über Teilhabe und Zugänglichkeit in der Kunstvermittlung gesprochen. Gibt es andere Themen im Bereich der Kunstermittlung, die dich interessieren?

Absolut, das sind vielleicht nicht unbedingt solche, die auf die Kunstvermittlung beschränkt sind, sondern eher allgemeine gesellschaftliche Themen, die ich reizvoll finde und für die ich mich einsetzen möchte. Ich stelle mir auch immer die Frage, inwiefern die Kunstvermittlung mehr für bestimmte Anliegen tun kann. Also beispielsweise eben das Thema der Inklusion und der Wunsch nach einer grösseren Diversität, Fragen um Ein- und Ausschluss. Das sind Themen, mit denen sich Kulturinstitutionen immer beschäftigen sollten. Ein weiteres Thema wäre Nachhaltigkeit. Das liegt mir sehr am Herzen und ist gleichzeitig sehr belastend. Und da stelle ich mir auch immer wieder die Frage, wie ich das in meine Praxis einfliessen lassen kann. Das Thema ist bei uns am Haus natürlich auch irgendwie gegeben, da Tinguely ja gewissermassen ein «Schrottkünstler» ist, der aus Abfall Kunst gemacht hat. Da liegen gewissen Fragen rund um die Nachhaltigkeit auf der Hand, wie beispielsweise der Umgang mit Ressourcen, die Wertigkeit von Materialien etc. … Die Sensibilität für Konsum und Verschleiss sind Themen, die ich sehr wichtig finde und die in meine Arbeit einfliessen. Und sonst auch allgemein unsere Gesellschaft, in der sich extreme Tendenzen verstärken, die «Bubbles» in denen man sich bewegt, fern von anderen, unterschiedlichen Denkweisen und Blicken auf unsere Welt, die eigentlich ja eine Welt ist… Es ist natürlich eine Illusion, dass die Kunstvermittlung da viel bewirken kann, aber trotzdem schwingt das bei mir irgendwie mit als Anspruch, dass man mit unterschiedlichen Menschen und Perspektiven in Kontakt kommen kann und Erlebnisse gestalten kann, in denen Menschen sich begegnen können, die sonst vielleicht nichts miteinander zu tun hätten.


Und nun zum Schluss: seit April bist du Vorstandsmitglied bei mediamus. Welche Schwerpunkte möchtest du während deiner Zeit bei mediamus setzen? Gibt es etwas, das dir besonders am Herzen liegt?

Im Anschluss an das, was ich soeben gesagt habe: Ich habe es bisher sehr geschätzt, wenn wir als Vorstand zusammengekommen sind und uns ausgetauscht haben. mediamus ist natürlich sehr viel mehr als der Vorstand und die Geschäftsstelle: Es sind ja auch die Mitglieder, die mediamus ausmachen und dem Verband seine Daseinsberechtigung geben. Der Austausch mit den Mitgliedern interessiert mich und da habe ich das Gefühl, ist die Aufgabe von mediamus, die Vernetzung und den Austausch zu kultivieren. Das habe ich auch schon als Mitglied von mediamus enorm geschätzt, die Möglichkeit auf Berufskolleg:innen zu treffen, sich auszutauschen, voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu inspirieren und motivieren. Dass das weiterhin möglich ist, dafür möchte ich mich engagieren.


Interview: Lisa Gianotti

Foto: Christian Knörr


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