Künstlerin und Kunstvermittlerin Laura Arminda Kingsley in ihrem Atelier © Laura Arminda Kingsley
Laura Arminda Kingsley ist Künstlerin und Kunstvermittlerin. Für die Ausstellung «Stranger in the Village» im Aargauer Kunsthaus war sie Teil des Advisory Boards, verantwortlich für die Kunstvermittlung und als Künstlerin beteiligt. In ihrem Atelier habe ich mich mit Laura darüber unterhalten, wie man eine Ausstellung über Rassismus vermittelt, welche Rolle der Austausch dabei spielt und wie es ihr gelang, ihre unterschiedlichen Hüte auf- und abzusetzen.
Liebe Laura, vielen Dank, dass du dir Zeit für dieses Gespräch genommen hast. Du bist gerade von der Kamene Artist Residency in Nairobi zurückgekommen. Wie war das?
Es war spannend zu sehen, dass Nairobi sich so ähnlich ist wie Santo Domingo, wo ich aufgewachsen bin. Es ist interessant an Orte zu gehen, die durch den Kolonialismus geformt worden sind, und zu entdecken, dass sie so vieles gemeinsam haben, auch wenn sie auf einem anderen Kontinent liegen. Für mich als afrodiasporische Person ist es interessant, nach Afrika zu reisen. Man erkennt vieles, und das ist eine schöne Erfahrung. Für mich war es auch wichtig, Austausch zu haben über meine Arbeit in einem anderen kulturellen Kontext. Ich wollte nicht, dass meine Arbeit nur in der nördlichen Hemisphäre besprochen und geteilt wird.
Wie war es für dich, auf dem afrikanischen Kontinent in Austausch über deine Arbeit zu treten?
Es war eine bereichernde und schöne Erfahrung. Ich habe mich willkommen gefühlt und mich mit vielen Leuten ausgetauscht, aber nicht nur über meine Arbeit, sondern auch über meine Person, mit Taxifahrern, Verkäufern auf dem Toi Market, die sehr an einem Gedankenaustausch mit der ersten karibischen Person interessiert waren, die sie je getroffen haben. (denkt nach) Ich weiss noch, als ich in die Schweiz kam, war ich plötzlich in einem kulturellen Raum, mit dem ich nicht viel gemeinsame Geschichte habe. Wenn ich hier über transatlantic slave trade oder die Orishas spreche, bedarf es einer gewissen Kontextualisierung. Ich musste lernen, universelle Themen mehr in den Vordergrund meines Werkes zu bringen. Im Gegensatz dazu gab es in Nairobi eine Art gemeinsame Sprache, gemeinsame Erfahrungen.
Für alle Leser:innen, die dich noch nicht kennen, wie würdest du dich beschreiben?
Ich würde sagen, dass ich Künstlerin und Kunstvermittlerin bin. Es gibt viel Überschneidung zwischen meiner künstlerischen und meiner vermittelnden Praxis, aber im Kern bin ich Künstlerin. Ich mache Kunst aus der Perspektive, dass mir niemand seine oder ihre Aufmerksamkeit schuldet. Ich überlege als Vermittlerin, wie die Betrachtenden mit meinem Werk interagieren werden. Als ich in die Schweiz kam, habe ich mich gefragt: Was kann ich einer Person anbieten, die einen ganz anderen kulturellen Hintergrund hat als ich? Mir ist sehr wichtig, dass meine Arbeit die Betrachtenden anspricht, dass mein Werk die Aufmerksamkeit, die ihm geschenkt wird, belohnt.
Ich mache Kunst aus der Perspektive, dass mir niemand seine oder ihre Aufmerksamkeit schuldet. Ich überlege als Vermittlerin, wie die Betrachtenden mit meinem Werk interagieren werden. […] Mir ist sehr wichtig, dass meine Arbeit die Betrachtenden anspricht, dass mein Werk die Aufmerksamkeit, die ihm geschenkt wird, belohnt.
Das ist leider nicht selbstverständlich, dass Künstler:innen an das Publikum denken, wenn sie eine Arbeit kreieren. Wie bist du zu dieser Haltung gekommen?
Für mich ist Kunst eine Art Kommunikation, die, so könnte man argumentieren oder vielmehr, John Berger hat argumentiert, viel stärker als Sprache ist. Man fragt mich immer, was meine Muttersprache ist und ich antworte darauf stets: zeichnen. Das ist die Sprache, die ich am besten kann, bis heute. Wenn man spricht, überlegt man, wie das Gesprochene beim Gegenüber ankommt, how it affects you. Mir ist wichtig, dass meine Kunst kein Monolog in der Leere ist. Ich will, dass meine Kunst eine positive Veränderung für möglichst viele Leute ermöglichen kann. Deshalb mache ich öffentliche Kunst. Ich könnte auch andere Karrieren ausüben, aber es motiviert mich zu wissen, dass ich meine Erfahrungen und Überlegungen durch meine Kunst mit anderen Menschen teilen kann.
Du hast sehr anschaulich erklärt, wie die Kunstvermittlung deine Tätigkeit als Künstlerin beeinflusst. Beeinflusst die Künstlerin in dir auch deine Tätigkeit als Kunstvermittlerin?
Ja, sehr stark sogar. Weil ich auch Künstlerin bin, war es für mich als Vermittlerin immer einfacher, mich in die Position der kunstschaffenden Person zu versetzen. Kunstschaffend zu sein ist anspruchsvoll, herausfordernd, aus unterschiedlichen Aspekten. Und es ist leider ein Beruf, der häufig stigmatisiert und romantisiert wird. Aber die Realität des Berufes wird in der Öffentlichkeit selten realistisch repräsentiert. Als Vermittlerin habe ich stets versucht, diese Realität zu vermitteln, denn das gibt eine andere Perspektive auf ein Werk und auch ein anderer Respekt dafür.
Wie setzt man der Romantisierung von Kunstschaffenden vermittlerisch etwas entgegen?
Ich habe beispielsweise Workshops durchgeführt, in denen wir ein künstlerisches Projekt realisiert haben, das alle machen konnten. Das hält der Mystifizierung von Kunstschaffenden etwas entgegen, indem man eben merkt, das können nicht nur bestimmte Leute, das kann ich auch. Es wird aber auch deutlich, wie viel Übung und Disziplin hinter der Ausübung einer künstlerischen Tätigkeit steckt.
Gibt es aktuelle Themen im Bereich der Kunstvermittlung, die dich interessieren? Oder Themen, die deiner Meinung nach mehr Aufmerksamkeit verdient hätten?
Es wäre wünschenswert, dass Museen mithilfe der Vermittlung, aber nicht allein durch die Vermittlung, ihre strukturellen Probleme angehen würden, zum Beispiel, wie adressieren wir ein jüngeres Publikum, wie adressieren wir ein Publikum mit Migrationshintergrund, …
Bei Stranger in the Village sind wir beispielsweise auf die Fachstelle «Integration Aargau» zugegangen und haben geschaut, wie wir eine Zusammenarbeit gestalten könnten. Wir haben sie gefragt, was sie von uns haben wollen. Ich habe kein Programm gemacht und bin dann auf Leute zugegangen, die das ausführen müssen. Ich suchte den Austausch mit Schlüsselpersonen verschiedener Organisationen und lud sie zu einem kostenlosen Besuch ein, wobei ich ihnen so viel oder so wenig von meiner Vermittlung anbot, wie sie für ihre Gruppe für angemessen hielten. Und das hat sehr gut funktioniert. Ich würde mir wünschen, dass das häufiger so passiert. Auch die Gruppen, mit denen wir zusammengearbeitet haben, haben den Wunsch geäussert, dass sie nicht nur eingeladen werden wollen bei einer Ausstellung, in der es um Rassismus und Ausgrenzung geht. Es ist auch wichtig zu erkennen, dass es für bestimmte Menschengruppen eine Art von Einladung ins Museum braucht. Wir haben auch gratis Eintritt angeboten, denn es kann sich nicht jede und jeder den Eintritt in ein Schweizer Museum leisten.
Es ist auch wichtig zu erkennen, dass es für bestimmte Menschengruppen eine Art von Einladung ins Museum braucht.
Das heisst du würdest dir eigentlich wünschen, dass die Kunstvermittlung kein Monolog, sondern ein Dialog ist. Dass man dem Publikum nicht vorgibt, was gemacht und gemocht wird, unter dem Vorwand demographische Lücken zu füllen, sondern dass man eben vom Publikum selbst erfahren will, was sie brauchen.
Genau, ich denke als Vermittlerin muss man anpassungsfähig sein und gut reagieren können auf die Informationen, die man vom Publikum bekommt. Wenn eine Gruppe gelangweilt ist, dann muss man (schnipst) grad wechseln, das geht nicht. Ich glaube es Bedarf Ressourcen und die Bereitschaft von Seiten der Institutionen, diese Gespräche zu führen.
Für die Ausstellung Stranger in the Village, nach dem gleichnamigen Text von James Baldwin im Aargauer Kunsthaus, warst du in verschiedenen Funktionen vertreten: als Künstlerin mit eigenen Werken, als Vermittlerin und als Teil des Advisory Boards. Haben diese unterschiedlichen Rollen deine Arbeit erleichtert oder erschwert?
Als Künstlerin habe ich ein Werk gezeigt, eine Keramikskulptur, die ich 2020 gemacht habe. Somit habe ich kein Werk für die Ausstellung gemacht, sondern ein bestehendes Werk gezeigt. Als Vermittlerin war es vorteilhaft, so viele verschiedene Hüte zu tragen, aber es war sehr zeitintensiv. Ich habe für mehrere Monate sehr viel gearbeitet, weil ich auch meine künstlerischen Projekte vorantreiben musste. Hilfreich war sicher, dass ich sehr involviert war. Es ist vorteilhaft in der Vermittlung, wenn man viele Informationen hat, weil es leichter ist, verschiedene Vermittlungsangebote zu konzipieren.
Die Ausstellung wurde von einem Team mehrheitlich ohne Rassismuserfahrung kuratiert. Deshalb wurde ein Advisory Board gegründet, das die Ausstellung beratend begleitete. Wie hat sich die Zusammenarbeit zwischen dem Kuratorium und dem Advisory Board gestaltet?
Es gibt verschiedene Modelle, wie man diese Zusammenarbeit gestalten kann und natürlich gibt es auch internationale Häuser, die bereits Ähnliches gemacht haben. Für das Aargauer Kunsthaus war es eine erste Erfahrung mit so einer Ausstellung und einem Advisory Board. Wir hatten einen begrenzten Zeitrahmen und mussten schauen, dass wir am Ende nicht nur viele komplizierte theoretische Fragen diskutieren, sondern dass wir auch eine überlegte Ausstellung präsentieren. Ich glaube, das haben wir geschafft. Es war wichtig für die Ausstellung und eine Bereicherung, dass wir ein Advisory Board hatten, denn es sind wirklich Themen, die man nicht nur von einer Perspektive adressieren sollte. Das Advisory Board hat eine Vielstimmigkeit geleistet, auch wenn es nur beratend tätig war. Entscheidungen wurden nicht im Kollektiv getroffen, sondern lagen am Schluss bei den Kurator:innen. Denn natürlich werden sich bei so einem Thema verschiedene Personen, mit unterschiedlichen Erfahrungen und Ausbildungen, nicht so einfach einig. Aber das haben wir dem Publikum auch offen kommuniziert.
Welche Vorteile bringt dieser beratende Ansatz deiner Meinung nach? Und welche Schwierigkeiten können dabei auftreten?
Schwierig wäre es gewesen, wenn man alles kollektiv entschieden hätte, denn dann hätte man viel mehr Zeit und Ressourcen benötigt. Das war eines der Learnings, welches viele Institutionen, die bereits vergleichbare Projekte durchgeführt hatten, rückgemeldet haben. Ein Vorteil des Advisory Boards ist sicher, dass vier Augen mehr sehen als zwei. Und wenn man das multipliziert, hat man eine grosse Unterstützung. Das Advisory Board war hilfreich beim Sprachgebrauch in der Ausstellung, was so wichtig ist bei so einem Thema, oder auch Details wie, wie macht man sich für das Publikum verfügbar. Bei Stranger in the Village konnte man sich via E-Mail beim Museum unter dem Betreff «Bewusstsein» melden. Dies ermöglichte es dem Publikum, mit dem Museum in Austausch zu treten, wenn Bedarf bestand.
Hast du das Advisory Board auch konsultiert bei der Konzeption des Vermittlungsprogramms?
Ja, ich durfte mein Konzept für die Vermittlung dem Advisory Board zweimal vorstellen und Feedback einholen, vor allem am Anfang war das sehr hilfreich. Denn ich komme aus einem anderen kulturellen Kontext, in dem man das Gespräch über Rassismus in einer anderen timeline geführt hat. Überhaupt zu erkennen, dass man ein Problem mit Rassismus hat, das wurde in den USA und in der Karibik vor ein paar Generationen durchgemacht. Nun kommt dieses Thema hier auf, in einem ganz anderen historischen Kontext. Für mich war es immer wieder wichtig zu hören, wie das Advisory Board und wie die Kurator:innen über das Thema sprechen, um zu hören, wo sich die Personen, die sich für das Thema interessieren, im Diskurs befinden. In der Schweiz ist Intersektionalität momentan ein grosses Thema. Im amerikanischen oder karibischen Kontext geschah das vor einer Generation, darüber hat die Autorin bell hooks vor ewiger Zeit geschrieben. Deshalb war es für mich wichtig zu verstehen, welche Themen hier gerade diskutiert werden.
Was waren eure Ziele und Strategien bei der Entwicklung des Vermittlungsprogramms der Ausstellung?
Mein Ziel für das Vermittlungsprogramm war es, den Besucher:innen Raum und Zeit zu geben, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Natürlich ist Rassismus ein Thema, das man nicht in einem zweistündigen Museumsbesuch verdaut hat. Wir wollten den Leuten Möglichkeiten geben, sich in ihrem eigenen Tempo mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Es war mir sehr wichtig, dass der partizipative Raum in der Mitte der Ausstellung war. Bis man dort ankam, hatte man die Hälfte der Ausstellung gesehen und ist mit unterschiedlichen Geschichten über Kolonialismus und Rassismus konfrontiert worden, wie beispielsweise den Erfahrungen von Baldwin in Leukerbad, oder aktuelleren Arbeiten zum Thema Alltagsrassismus in der Schweiz, wie die Arbeit von Sirah Nying White Eyes, Black Skin (2022). Mein Ziel war, dass man als Besucher:in die Möglichkeit hat, sich mit der eigenen Position auseinanderzusetzen, auf eine intuitive Art und Weise, die Raum zum Denken gibt. Im Vermittlungsraum konnte man sich hinsetzen und das eigene Porträt im Spiegel nachzeichnen. Ich wollte, dass es ein Raum der Reflexion wird, und ich fand es wichtig, wieder sich selbst zu betrachten, nach so viel Information darüber, wie Personen abhängig von ihrem Aussehen unsere Gesellschaft navigieren müssen.
© Ullmann Photography
Neben den Portraits gab es auch eine violette Wand, auf die man seine Gedanken aufschreiben konnte zur Frage, wie wir unser Zusammenleben gestalten wollen. Die Überlegung dahinter war, dass die Ausstellung eben nicht nur ein Monolog mit wahnsinnig vielen Informationen sein soll, sondern, dass die Besucher:innen auch die Möglichkeit haben, mitzudenken und sich mitzuteilen. Es war schön zu sehen, wie die Leute ihre Überlegungen in ganz verschiedenen Sprachen teilten. Für mich stellte sich nach der Hälfte der Ausstellung nicht mehr die Frage, ob es Rassismus in der Schweiz gibt – das muss ich nicht beantworten, denn die Ausstellung hat dies klar aufgezeigt. Doch was daraus folgte war die Frage: Wie geht es weiter? Wie leben wir miteinander? Für mich war wichtig, dass so viele Personen wie möglich an diesem Diskurs teilnehmen können. Ich habe auch sichergestellt, dass die Wand zugänglich ist durch die Grösse der Buchstaben und deren Lesbarkeit. Und natürlich: gemütliche Sitzmöglichkeiten. Denn das ist mein grosses Museums pet peeve (dt. «Lieblings Ärgernis»), dass man nämlich von Seiten des Museums nicht überlegt, wie diese menschlichen Körper durch diese harten Betongebäude gehen und wie es sich anfühlt, dort zu sein.
© Ullmann Photography
Mein Ziel für das Vermittlungsprogramm war es, den Besucher:innen Raum und Zeit zu geben, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Natürlich ist Rassismus ein Thema, das man nicht in einem zweistündigen Museumsbesuch verdaut hat. Wir wollten den Leuten Möglichkeiten geben, sich in ihrem eigenen Tempo mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Neben dem Vermittlungsraum in der Ausstellung gab es auch noch einen Leseraum im Foyer. Kannst du dazu noch mehr erzählen?
Das war der «Antirassimus-Leseraum» im Untergeschoss bei der Garderobe. Dort ging es mir einerseits darum, den Bedarf der Community zu adressieren und Orte zu schaffen, wo man sich aufhalten kann und nicht konsumieren muss. Weil, sorry, ein Tee kostet in der Schweiz 5 Franken, und es muss Orte geben, die nicht nur draussen sind, wo man sich aufhalten kann ohne Geld ausgeben zu müssen. Mir war aber wichtig, dass es ein Leseraum war und keine Bibliothek. Das bedeutet, man konnte auch mit einem jungen Kind kommen, und das Kind konnte schreien und es war okay. Im Leseraum hatte es eine Art Kuschelecke unter der Treppe mit einem runden Teppich und von der Decke hängenden Bücher. Ich habe viel recherchiert zu illustrierten Kinderbüchern, die das Thema Diversität und Gleichstellung thematisieren. Und es hatte auch ganz viele Bücher für Teenager und Erwachsene. Die Idee war, dass man die Möglichkeit hat, sich langfristig mit einem Thema auseinanderzusetzen, ohne dass man etwas konsumieren oder den Eintritt bezahlen muss.
Habt ihr auch die Problematik der Unzugänglichkeit des Museums durch die Eintrittspreise adressiert?
Ja, absolut. Wir haben uns gemeinsam gewünscht, und die Leiterin Vermittlung Silja Burch sowie die Kuratorin Céline Eidenbenz haben organisiert, dass man am Donnerstag von 17 bis 20 Uhr gratis Eintritt in die Ausstellung hatte. Für mich ist das absolut normal, in New York City haben alle Museen irgendeinen Tag, an dem man nach einer bestimmten Zeit oder sogar den ganzen Tag keinen Eintritt bezahlen muss. Und als Studentin wusste ich natürlich alle Zeiten auswendig (lacht). Als ich in die Schweiz kam, war das für mich fast ein bisschen schockierend, dass es das hier nicht gibt. Es gibt schon Angebote wie die KulturLegi, aber dafür muss man sich qualifizieren.
Und man muss das Angebot kennen und die Ressourcen haben, sich darüber zu informieren, anzumelden, etc.…
Von unserem Vorgespräch weiss ich, dass ihr auch die Freiwilligen des Aargauer Kunsthauses in die Ausstellungsvermittlung involviert habt. Kannst du mir erklären, wie sich diese Zusammenarbeit gestaltet hat?
Die Freiwilligen haben sich während den Vorbereitungsmonaten der Ausstellung selbst weitergebildet, Bücher gelesen und Zusammenfassungen dieser Bücher verfasst, die wir wiederum den Vermittler:innen zur Verfügung stellen konnten. Denn natürlich ist man in der Vermittlung häufig nicht festangestellt und hat keine Bürozeiten. Es war für mich wichtig, dass wir von den freischaffenden Vermittler:innen nicht verlangen, dass sie in ihrer Freizeit ganze Bücher lesen. Die Zusammenfassungen der Freiwilligen waren für sie sehr hilfreich. Das führte auch dazu, dass die Freiwilligen super vorbereitet waren. Während der Ausstellung wurden sie an zwei Orten eingesetzt. Einerseits als Austauschpersonen in der Ausstellung. Ich habe für sie Badges gemacht, auf denen «lass uns reden» stand. Dadurch wollte ich den Besuchenden die Möglichkeit anbieten, sich vor Ort auszutauschen. Denn ich hatte im Vorfeld das Gefühl, dass der Bedarf nach Austausch gross sein wird bei so einem Thema. Das hat gut funktioniert und wir haben sehr viel Feedback von den Freiwilligen erhalten. Das half uns zu spüren, wie das Publikum die Ausstellung wahrgenommen hat. Zudem kamen die Freiwilligen auch im Vermittlungsraum zum Zug. Sie haben die Leute motiviert, mitzumachen und erklärt, wie alles funktioniert. Da ging es mir darum, einen Austausch auf informelle Art und Weise zu schaffen.
Kannst du rückblickend sagen, welche Formate gut funktioniert haben?
Das Beispiel mit dem Einbezug der Freiwilligen in die Ausstellungsvermittlung hat sehr gut funktioniert und soweit ich weiss, wird es weitergeführt am Haus. Das würde ich wieder machen. Es war hilfreich, dass die Freiwilligen mich schon kannten, dadurch war ein gewisses Vertrauen da. Sie wussten, dass sie von mir nicht verurteilt werden und sie offen sprechen können. So entstanden sehr viele Austausche, die sehr wichtig waren. Wichtig ist auch, dass die Freiwilligen eine Bevölkerungsgruppe abdecken, die bei den Angestellten nicht vertreten ist, denn sie sind über dem Rentenalter. Es ist sehr wertvoll, diese Perspektive einzubringen.
Welche Formate waren schwierig durchführbar oder würdest du heute anders konzipieren?
Hmm…vielleicht die violette Wand im Vermittlungsraum. Am Anfang gab es viel Platz und die Leute haben sehr überlegt. Irgendeinmal habe ich angefangen Postleitzahlen zu sehen (lacht) und Fussballteams und das war natürlich nicht die Idee. Zum Teil habe ich auch etwas putzen müssen, und nach dem 7. Oktober kamen zunehmend Palästinensische Fahnen hinzu, und dann weitere Fahnen von verschiedenen Ländern. Und ich verstehe das Bedürfnis, Solidarität auszudrücken in Kriegszeiten. Aber das war nicht das Thema des Raumes. Und Nationalismus ist meiner Meinung nach auch eines jener konstruierten Konzepte, das uns trennt und es uns verunmöglicht, die Menschlichkeit voneinander zu erkennen. Würde ich das heute wieder so machen? Es ist schwierig, denn es war einerseits schön, diese Überlappung von Ideen und Reaktionen, die sehr überlegt waren. Aber es gab halt auch Propaganda und Flaggen. Ich glaube, wenn ich es nochmals machen würde, dann würde ich einplanen, dass die Wand jeden Monat neu bemalt wird, damit es dreimal in der Ausstellung einen Neuanfang gibt.
Hat sich die Vermittlung auch in die Konzeption der Ausstellung eingebracht?
Ich war etwas involviert bei kuratorischen Fragestellungen, aber nicht stark, vor allem aus Zeitgründen. Ich hatte zunächst ein 40% und anschliessend ein 50% Pensum, und das ist nicht genügend Zeit, um auch kuratorische Entscheidungen zu treffen.
Wärst du gerne mehr involviert gewesen?
Für mich wäre es nicht ideal gewesen, wegen meiner persönlichen Situation. Da ich auch freischaffende Künstlerin bin, hatte ich noch andere Projekte, an denen ich in dieser Zeit gearbeitet habe. Es wäre für mich nicht möglich gewesen, stärker involviert zu sein. Ich finde es ist wichtig, dass das Kuratorium mit der Vermittlung von Anfang an im Austausch ist und nicht, dass die Vermittlung ein afterthought ist. Aber ich finde auch, dass die kuratorische Tätigkeit etwas anderes ist als zu vermitteln, und es darf auch etwas anderes sein.
Wie seid ihr damit umgegangen, in der Vermittlung über Rassismus zu sprechen, insbesondere mit Schulklassen/Gruppen, in denen auch Personen mit Rassismuserfahrung waren?
Darüber haben wir uns sehr viele Gedanken gemacht und uns darauf vorbereitet. Für mich ist es als BIPoC Person in der Schweiz nicht optional, mit Rassismus konfrontiert zu sein und darüber zu sprechen. Es ist häufig nicht etwas, das ich umgehen oder auswählen kann. Für die Mehrheit unseres Vermittlungsteams ist das nicht der Fall. Deshalb haben wir Bücher gesucht und Diversitätsworkshops für das ganze Team durchgeführt. Dadurch war das Team sensibilisiert. Zudem haben wir eine Liste gemacht und Vorgehensweisen in bestimmten Situationen definiert. Zum Beispiel, wie man damit umgeht, wenn sich ein betroffenes Kind in einer Schulklasse zurückzieht. Ich persönlich hatte das Gefühl, dass vor allem Teenagers sehr gut informiert waren und auch viele der Kinder hatten eine Vorbereitung durch die Lehrpersonen. Viele Lehrpersonen haben sich sehr für das Thema interessiert und haben die Klassen sehr gut auf den Ausstellungsbesuch vorbereitet.
Wir haben auch das Aufsichtspersonal so gut wie möglich auf die Ausstellung vorbereitet. Und wir haben versucht, ihnen ganz klar mitzuteilen, was unsere Erwartungen sind, zum Beispiel, dass sie nicht dazu verpflichtet sind, ständig über das Thema sprechen zu müssen, sondern dass sie eben auch auf die Emailadresse verweisen können. Wir haben auch eine Art Protokoll gemacht, um festzuhalten wie vorgegangen werden muss, wenn jemand eine starke Reaktion auf die Ausstellung hat. Und ich muss sagen, es sind nur ein paar Situationen entstanden, in denen eine Person stark auf die Ausstellung reagierte und zum Beispiel eine Aufsichtsperson anschrie oder eine Vermittlungsperson respektlos behandelte, und es waren immer Erwachsene, keine Kinder oder Schulklassen.
Für mich ist es als BIPoC Person in der Schweiz nicht optional, mit Rassismus konfrontiert zu sein und darüber zu sprechen. Es ist häufig nicht etwas, das ich umgehen oder auswählen kann. Für die Mehrheit unseres Vermittlungsteams ist das nicht der Fall. Deshalb haben wir Bücher gesucht und Diversitätsworkshops für das ganze Team durchgeführt. Dadurch war das Team sensibilisiert.
Ich habe das Gefühl, euch war sehr stark bewusst, dass Austausch, Vorbereitung und Training für schwierige Situationen sehr wichtig sein würden bei dieser Ausstellung.
Genau, aber man kann natürlich auch nicht alles vorhersehen. Aber es ist wirklich sehr gut gegangen. Wir hatten beispielsweise viel mehr Anfragen für Workshops, als dass wir Kapazität gehabt hätten. Es gibt ein grosses Bedürfnis im Land, über das Thema zu sprechen. Für mich war es eine sehr zeitaufwendige Verpflichtung, und ich hätte das nicht gemacht, wenn ich nicht gewusst hätte, dass es eine Ausstellung ist, die die Schweiz braucht.
Interview: Lisa Gianotti
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